Jede Erklärung ist rein hypothetisch und um uns selbst zu beruhigen
Im Gespräch gestern Abend mit meinem Airbnbgast, erzählte sie mir plötzlich von ihrer Krebskrankheit. Und hier noch nebenbei angemerkt, zur Erinnerung für meinen Verstand, welcher doch so gerne schubladisiert und bewertet: „Nein, man muss es Menschen nicht anmerken oder ansehen, ob sie krank sind oder nicht!“
In solchen Situationen fühle ich mich häufig hilflos, traurig, bekomme Mitleid und verspüre ganz oft einen Impuls, der mich dazu drängt, nun endlich etwas zu sagen – wohl nicht zuletzt, um mich von mir selbst abzulenken und genau diese unangenehmen Gefühle nicht fühlen zu müssen. Denn es gibt diese mir selbst sehr vertraute, feine Stimme in mir, welche ganz genau weiss, dass es keine richtigen Worte gibt und es vollkommen okay ist, einfach zuzuhören und dazu sein.
Gestern war vieles ganz anders. Es war vollkommen okay, einfach zu schweigen, zuzuhören und da zu sein. Etwas in mir wurde zutiefst berührt, da war diese unendliche Dankbarkeit und Ehrfurcht dem Leben gegenüber, welche mich, wenn ich diese Zeilen schreibe wortwörtlich zu Tränen rührt.
Einmal mehr fühlte ich so krass, dass ich absolut keine Ahnung habe.
Ich weiss absolut nichts. Dieser Satz begleitet mich in letzter Zeit immer wieder. Es geht dabei nicht ums Wissen an sich, es ist ein Gefühl… tief, weit, unendlich und nicht mehr in Worte zu fassen.
Wir versuchen die Welt zu verstehen und zu erklären. Wir haben Wissenschaften, ganze Systeme dazu konstruiert, das ganze Schul-, Gesundheits-, Gesellschaftssystem baut auf Erklärungen auf. Es scheint fast, als gäbe es ohne Erklärungen kein Leben.
Leben ist nicht erklärbar. Leben ist ein Gefühl, dass nicht in Worte zu fassen ist.
Jede Erklärung ist rein hypothetisch. Mit jeder Erklärung machen wir uns selbst nur etwas vor. Denn ist vielleicht nicht jede Erklärung nur ein verzweifelter Versuch, uns selbst zu beruhigen, weil wir tief in uns fühlen, dass wir absolut keine Kontrolle über das Leben haben. Dieses Gefühl des Kontrollverlustes, der Ohnmacht doch irgendwie unter Kontrolle zu bringen.
Auch gerade auf Krankheit oder Gesundheit bezogen existieren in meinem Kopf unzählige Ideen, Konzepte, Vorstellungen und Glaubenssätze darüber, wie das Leben funktioniert, was für mich und meinen Körper gut ist und was nicht.
Wie oft habe ich mich selbst sagen hören und bis gestern selbst daran geglaubt, dass Krankheit die Antwort des Körpers ist, dass etwas nicht in Balance ist und eine Erinnerung daran, innezuhalten und hinzuschauen. Mit anderen Worten, wenn ich auf mich achte, bleibe ich fit und gesund. Oder wenn ich dies noch etwas weiter ziehe: Jeder ist für seine Gesundheit selbst verantwortlich. Hahaha. Hoppla! Da bleibt mir selbst die Spucke weg und ich kann nur noch selbst über mich lachen. Ist dies nicht doch etwas zu einfach und doch sehr oberflächlich gedacht. Nein, es geht eben nicht darum, dazu eine tiefgründige Erklärung zu finden, sondern vielmehr zu (anzu-)erkennen, dass es für absolut nichts eine Erklärung gibt.
Ja klar, könnte es hypothetisch gesehen sein, aber was bringt mir das wirklich? Ist es nicht doch wieder der Versuch die Welt und das Leben verstehen, erklären und letztendlich kontrollieren zu wollen, weil ich doch vom Gefühl her weiss, dass ich absolut keine Kontrolle habe?
Dieses unendlich weitende Gefühl der Ehrfurcht (das ist das zurzeit einzige Wort, dass mir dazu einfällt), welches mich seit gestern Abend durchströmt, lässt mich ganz winzig klein und absolut unwissend fühlen… Ich bin ein kleines Nichts in einem Raum der Unendlichkeit. In Dankbarkeit für das Leben, für das was ist und zutiefst berührt, verbeuge ich mich vor diesen unbeschreiblich grossen Ganzen.
Das Leben ist alles andere als selbstverständlich! Das Leben an sich, unser Da.SEIN, ist verdammt noch mal Grund genug, um dankbar zu sein!
Du brauchst nichts zu wissen. Du brauchst keine Erklärungen.
Lebe! Lebe! Lebe! Lebe als wäre dein letzter Tag.
Mach, was dir Freude macht. Radikal, kompromisslos! Du bist frei!